Dem Weihnachten entsprechend singen viele Weihnachtslieder neben dem Gebet des „Vater Unsers“. Deswegen will ich allen Deutschen anlässlich dieses heiligen Festes das gotische „Atta Unsar“ erläutern.
Aber, warum? Was ist mein Grund dafür?
Ich führe immer meine eigenen, sprachlichen Experimente durch, jedes Mal, dass ich einem Deutschen begegne. Dutzende Male habe ich einem deutschen Muttersprachler das „Atta Unsar“ gezeigt. Die Reaktionen sind immer die gleiche gewesen. Kaum Mensch vollzieht den Text nach.
Trotz des Unverständnises, manche kommen darauf ein oder zwei Wörter zu erkennen, weil (Überraschung!) Gotisch auch eine germanische Sprache ist.
Deswegen aufgrund meiner Langeweile, werde ich das alte „Atta Unsar“ wieder ins Leben für euch rufen. Mithilfe von den Werken der Herren Robert Oliphant und Gerhard Köbler (siehe unten) werden wir dieses alte Gebet auf Deutsch analysieren.
Gotisch | Deutsch |
Atta unsar thu in himinam
Weihnai namo thein Qimai thiudinassus theins Wairthai wilja theins Swe in himina jah ana airthai Hlaif unsarana thana sinteinan Gif uns himma daga Jah afleet uns thatei skulans sijaima Swaswe jah weis afleetum thaim skulam unsaraim Jah ni briggais uns in fraistubnjai Ak lausai uns af thamma ubilin Unte theina ist thiudangardi jah mahts jah wulthus in aiwins Amen. |
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. |
Atta unsar thu in himinam
Den Satz habe ich selbst auf den ersten Blick verstanden, als ich damals das Gebet zum ersten Mal las. Man kann ohne Kenntnisse des Gotisches leicht die Bedeutungen jeden Wortes erkennen: Atta – Vater, unsar – unser, thu – du, in – (ohne weitere Kommentare), himinam (Mehrzahl für das Wort Himmel aber in Dativ).
Was bemerkenswert im Satz ist, ist, dass „Himmel“ in den Plural gesetzt wird. Im gegenwärtigen Deutschen besitzt dieses Wort weder eine Mehrzahl noch eine Deklination.
Weihnai namo thein
Fällt euch nicht ein, die erstaunliche Ähnlichkeit zwischen „Weihnacht“ und „Weihnai“?
Habt ihr nicht einmal im Weihnachten „Heeeeilige Naaaacht, Stiiiiiille Nacht“ gesungen? „Weihnacht“ hat dieselbe Bedeutung wie „Heilige Nacht“. d.h., dass „weihen“ oder „heiligen“ dem Wort „weihnai“ gleichwertig sind.
„Namo thein“ bedeutet „dein Name“, nur, dass in diesem Fall das Nomen gegen das Possessivpronomen ausgetauscht wird wie im poetischen Spanisch: „La casa mía“ anstatt „Mi casa“.
Qimai thiudinassus theins
„Dein Reich komme“. Einfach. Nicht wahr? Meines Erachtens ist außer „Thiudinassus“ den Rest relativ verstehbar. „Thiudinassus“ bedeutet laut Herrn Köbler: Regierung, Königreich oder Reich. Davon erkennen wir den Begriff „thiuda“, dessen Bedeutung „Volk“ ist. Das uralte, germanische Wort für „Volk“ war „diets“. Aus diesem Grund haben wir im 21sten Jahrhunderts die, daraus stammenden, Wörter „Deutsch“ und „Dutch“ im Englischen.
Wairthai wilja theins
„wairthai“ ist mit „werden“ verwandt. Aber in diesem Fall passt „geschehen“ besser an dem Satz an.
Swe in himina jah ana airthai
Im Altenglischen steht dieser Satz als „on eordan swaswa on heofonum“. Sieht so aus als in beiden, archaischen Sprachen „swe“ oder „swaswa“ die gleiche Bedeutung als „so als“ tragen.
„in himina“ spielt die Rolle des Akkusativs so als „in (den) Himmel“.
Im Übrigen ist „jah“ das Äquivalent von „und“.
Hlaif unsarana thana sinteinan gif uns himma daga
Dadurch dass Gotische eine flektierte Sprache ist, mag der Satzaufbau chaotisch für einen Spanischmuttersprachler meiner Art erscheinen. Deshalb machen wir uns jetzt an die Arbeit, jedes einzelne Wort zu übersetzen um den Satz folglich umzubauen.
Hlaif – der Brotlaib, unsarana – unseren, thana – denn, sinteinan – hierbei zitiere ich Herrn Oliphant wieder: „SIN im Sinne von „seit“ und THEIN von „Zeit“, also insgesamt heißt das „täglich““, gif – gib, uns – uns, himma – diesen, daga – Tag.
Meiner Meinung nach haben viele den kleinen Fehler begangen, den Satz falsch auf den ersten Augenblick zu interpretieren. Ohne eine vertraute Satzordnung, sind wir alle Opfer des Unverständnises.
„Brotlaib unseren denn täglichen gib uns diesen Tag“.
Höchstwahrscheinlich wollte Ulifilas, der gotische Übersetzer der Bibel, das Folgende ausdrücken:
„Denn gib uns heute unseren täglichen Brotlaib“.
Ich bin kein Sprachgenie der Übersetzung, weil selbstverständlich das Gebet in anderen Sprachen denselben Sinn beinhaltet.
Jah afleet uns thatei skulans sijaima
„Und vergib uns, dass vielleicht wir Betrügereien machen“.
„afleet“ hat eine Verwandtschaft mit „ablassen“. In diesem Sinne hat das Wort die Bedeutung von „befreien“. «Sijaima» ist dem Wort «Vielleicht» gleichwertigt.
Swaswe jah weis afleetum thaim skulam unsaraim
„Schuld“ stammt natürlich aus „skulam“, obwohl das letzte Wort eine andere Konnotation trägt. In diesem Fall ist „skulam“ „Betrügerei“.
„und so als wir vergeben unseren Betrügern“
Jah ni briggais uns in fraistubnjai
Ni – nicht, briggais – bring
Die Herkunft und Etymologie von „fraistubnjai“ scheint unklar zu sein. Sowohl wenn ich das Deutsche in meinem Gedächtnis zu Verfügung habe, fällt mir schwer es mit dem Gotischen zu verbinden um den Begriff zu erläutern. Aber wenn man bei dem Wörterbuch Köblers nachschlägt, findet man heraus, dass „fraistubnjai“ „Versuchung“ bedeutet.
Ak lausai uns af thamma ubilin
Lausai – leeren oder in diesem Sinn „befreien“, ubilin – das Übel oder das Böse, thamma – those
„aber befreie uns aus dem Bösen“
Unte theina ist thiudangardi jah mahts jah wulthus in aiwins
unte – weil, theina – deine, thiudangardi – Reich, mahts – Macht, wulthus – Herrlichkeit, aiwins – Ewigkeit
„weil dein ist das Reich und die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit“
Der Unterschied zwischen „thiudinassus“ und „thiudangardi“ ist immer noch bestritten. Wahrscheinlich bezieht sich Eines auf die Regierung während des Zweites auf die Regierungseinrichtung.
Fertig. Jetzt habe ich es euch ermöglicht, das gotische Gebet auf Deutsch zu verstehen.
Wenn ihr wieder eine Person seht, die schwarz angezogen ist. Könnt ihr sie direkt mithilfe von manchen gotischen Wörter ansprechen.
Nach 1500 Jahren ist das Vater Unser auf Gotisch von einer wichtigen Relevanz für das Studium der germanischen Sprachen. Bis zu diesem Tag erstaunt mich dieses Gebet aufgrund seiner Ähnlichkeit zum Deutschen. Wer weiß? Vielleicht in 400 Jahren werden die künftige Generationen das gegenwärtige, deutsche Vater Unser analysieren und einen Text darüber schreiben.
AMEN
Quellen:
- http://www.themoralliberal.com/2011/04/07/learning-the-lord%E2%80%99s-prayer-in-gothic/
- http://www.koeblergerhard.de/gotwbhin.html
Los comentarios son exelentes y el autor se ocupó bastante con el idioma gótico. es una pena que este idioma no existe mas. Pero no es tan distante del aleman.
Bernardo Gübitz, Velden, Carintia
Ola Raúl,
ich hoffe, Dein Deutsch ist noch so gut, wie es hier geschrieben steht. Ich suchte den Text für das gotische Paternoster, darum bin ich hier. Und beim Lesen ist mir als Deutsch-Muttersprachler so einiges aufgefallen, was Dir die Sache vielleicht leichter macht:
1. Himmel heute, kann sehr wohl in den Plural gesetzt werden, es hat dann nur die gleiche Form, bsp. »Lass die Himmel einstürzen« aus einem Kirchenlied spricht deutlich von mehreren Himmeln, die einstürzen sollen. Sie haben hier die Mit-Bedeutung »Sphäre« und davon gab/gibt es sieben…
2. weihen und heiligen haben andere Bedeutungen – aber grundsätzlich ist die geweihte Nacht nach der Weihe dann auch heilig. In diesem Fall wird die Nacht durch Jesu Geburt geweiht und ist damit für alle späteren Nächte heilig »gesprochen«
3. thiudinassus – ich kenne Herrn Köbler nicht, aber soweit ich weiß handelt es sich um das Heer des Herrn. Weil ein König genau durch zwei Dinge König ist, nämlich Land und Leute, ist mit diesem Wort also die Herrschaft über die Menschen gemeint. Im Gegensatz dazu Thiudangardi. Das Wort enthält »Gardi« also »Garten« und meint das Land, ähnlich wie bei Midgard (Mittelland) und Asgard (Land der Asen).
Außerdem zerfällt das Wort m.E. in drei Teile nicht in zwei, also Thiu – Du, Din – Dein, Assus bzw. Gardi – Herren bzw Garten. Weil durch Verdopplung in jenen Zeiten noch Verstärkungen gemeint sind, ist »Dudein« also so etwas wie »Dein Eigenes« und hat mit dem Wort für Deutsch »Tiudesk« nur insofern zu tun, als die Deutschen ihr Land als das Ihrige bezeichnet haben.
4. Deinen »verqueren« Satz würde ich wörtlich eher so übersetzen: »Unseren Laib, den wir seit immer haben, gib uns jeden Tag«. Dabei verschmilzt der Laib (Brot) mit dem Leib (Körper des Menschen), denn das eine erhält das andere. Es ist also das Wichtigste im Satz und steht darum vorn
5. »af-leet« – naja, ich übersetze da eher ab-leiten, also: »Und leite uns ab von diesen Schulden, die uns womöglich passieren oder begegnen«; so etwas wie »Lass uns auf anderen Wegen gehen, wo uns nichts Schlimmes begegnet«. Es geht also nicht um selbstverschuldete Sünden, sondern um Zufälle, die die Kirche als Schuld bezeichnen würde. Wenn sie uns begegnen und wir sie sozusagen tun »müssen«, sollen sie vergeben werden
6. die »Betrüger« muss ich ablehnen. Schuld ist und heißt Schuld nichts anderes. In diesem Fall sind es Menschen, die eine Schuld (gegen uns) begangen haben, also: So wie uns vergeben wird (von Gott) für Schuld, die wir unwissentlich begangen haben, so sollen wir (als Menschen) auch anderen vergeben, die vielleicht eine Schuld begangen haben an uns oder einfach so
7. Fraistubnjai – tja, manchmal hat es auch ein Muttersprachler schwer, aber auch hier würde ich die Wörter trennen: Frai – frei, Stubnjai – stöbern, strolchen, also vielleicht so etwas wie Herumstöbern bis hin zu sinnlosem Umsichschlagen – sicherlich ist die »Versuchung« die gängige Übersetzung, es hat aber im Original mehr von Absicht, eher: gewollter Mutwillen
8. Lausei – warum so umständlich? – Lösen heißt das Wort bis heute
9. Das Üble ist niemals das Böse, nein, das ist etwas anderes. – Übrigens Thamma -Those, falsche Sprache Thamma – diesen
10. wulthus – ist eher die Vielheit bzw. die Fülle an Besitz materiell und immateriell, es geht also nicht nur um Geld, sondern auch um Ehre, Mildtätigkeit, Wohlwollen, Anstand zum Beispiel
Ich hoffe, Du verstehst mich nicht falsch und dies hier als Angriff. Ich dachte nur, dass es Dich vielleicht interessiert, wenn Du die Sprache so sehr liebst 🙂
Grazias por el texto y buen dia, Eische Loose (MA)
Omg, vielen vielen Dank! Dein Kommentar ist augenöffnend und sehr ergänzend. 🙂 Das mit «thiudangardi» und seine Verbindung mir «Garten»/Land habe ich gar nicht gewusst. Sehr coole insight.