Zu den Synonymen von «theatralisch» zahlen «unecht», «gezwungen», und «gekünstelt». Früher war es dem Schauspieler nicht wichtig, dem Publikum eine hautnah Performance auf der Bühne anzubieten. Oft übertrieb er seine eigenen Gefühle und trotzdem hatte er eine Wirkung auf das Publikum.
Heute wird dies als eine schlechte Performance von den Zuschauern betrachtet und die Schuld liegt an den russischen Dramaturgen Konstantin Sergejewitsch Stanislawski, dessen Schauspielmethode den ehemaligen Vorurteil über eine gute Performance aufbrach. Ihm war die Natürlichkeit und Echtheit der auf die Bühne gebrachten Gefühle unerlässlich. Man kann nicht einfach Trauer vorspielen, man muss sie fühlen.
Gute Schauspieler sind professionelle Lügner, deren Fähigkeit dem Zuschauer zum Hineinversetzen in eine Geschichte oder Figur verhilft. Ein guter Schauspieler offenbart sich persönlich in jeder Szene im Sinne einer überzeugenden Performance.
Dies ist der Fall James McGills, die Hauptfigur der Netflix Serie «Better Call Saul», die als Prequel von «Breaking Bad» fungiert. Im Gegensatz zu seinem respektabel Bruder Chuck McGill ist Jimmy McGill ein Anwalt, der ständig über den Rahmen des Gesetzes zur Verwirklichung seiner Ziele hinausgeht. Anlässlich dieses Gegensatzes werden beide Persönlichkeiten gegeneinander ständig konfrontiert.
In der dritten Staffel wird seine Arbeitsgenehmigung vom Staat entzogen und er muss verschiedene Gelegenheitsjobs machen, um die monatliche Miete bezahlen zu können. Aus Geldmangel ist er gezwungen, um eine Rückzahlung seiner Prämie bei der Versicherungfirma -wo er Kunde ist- zu bitten. Seinen Anspruch darauf wird leider von einer Mitarbeiterin verweigert. Trostlos bricht er in Tränen aus und erzählt ihr von den unglücklichen Eventen, die er hinter sich hat: er ist auf Zivildienst verpflichtet, wurde von einem Kunden betrogen und befindet sich im Existenzminimum. Absichtlich weist er auch darauf hin, dass sein Bruder -der auch Kunde bei der gleichen Versicherungsfirma ist- seelisch krank ist (was nur wenige Menschen wissen) und, dass es ihm sehr leid tut, weil er sich angeblich sehr viel Sorge über seinen Bruder mache.
Die Mitarbeiterin merkt das und Monate später verlängt diese Versicherungsfirma eine Verdoppelung der Beiträge von Chuck und seinen Kanzleimitarbeitern.
Hat Jimmy McGill gelogen? Ja und nein. Ja, seine Tränen waren echt, aber sie rührten nicht aus den Unglücksfälle seines Bruders her. Dahingegen wurde seine Trauer durch seine eigenen Problemen erzeugt, nicht durch die seines Bruders.
Jimmy McGill (die frühere Version von Saul Goodman) muss nicht seine eigenen Gefühle vertäuschen, um sein schlechtes Verhalten aufzubringen. Seine Ehrlichkeit über seine Gefühle ist nicht zu bezweifeln, sondern die Quelle von denen.
In der letzten Folge der dritten Staffel bittet Jimmy seinen Bruder um Verzeihung. Chuck sagt, dass er nicht an der Ehrlichkeit seiner Gefühle zweifelt. Er weisst, dass er es bereut. Trotzdem spielt das für ihn keine Rolle, weil er (Jimmy) immer wieder seine Straftaten begehen wird und immer wieder wird er es bereuen.
Das ist der Grund warum er ein guter Schwindler ist:
Er lügt mit dem Herzen.
Radwulf
29/04/2019