Vieles hat sich in Peru in den letzten Jahren geändert. Dank des Erfolges des Filmes “La Teta Asustada” und des Booms der Gastronomie, achten mehr Peruaner auf ihre ursprünglichen Inkawurzeln. Jedoch finde ich, dass diese Achtung und Liebe für die glorreiche Zeit der Inkas widersprüchlich und gleichzeitig auch heuchlerisch ist.
Laut des Ex-Verteidigungsministers der USA Donald Rumsfeld gibt es bekannte Bekannte, z.B. weiß ich, dass ich existiere; bekannte Unbekannte, z.B. weiß ich, dass ich über komplexe Organe verfüge, aber ich habe sie nie mit eigenen Augen gesehen; und unbekannte Unbekannte, z.B. kann ich mir nicht einmal vorstellen, dass in Wirklichkeit weder ich noch mein Laptop existieren. Alles ist nur eine Illusion, die durch die Matrix kreiert worden ist. D.h. die ultimative “Ich-habe.keine-Ahnung” unbekannte Unbekannte.
Neulich habe ich ein Video gesehen, in dem der slowenische Philosoph Slavoj Zizek eine dritte Kombination zu diesem Paradigma hinzufügt: die unbekannte Bekannte, z.B. ein Atheist, der sich vor einer Kirche bekreuzigt, weil er in seinem Unterbewusstsein an einen Gott glaubt, obwohl ihm das nicht bewusst ist.
Etwas Ähnliches passiert mit den meisten Peruanern, die bereit sind, sich selbst Inkas zu nennen, aber gleichzeitig auch bereit sind, Personen mit weißer Haut allein aus rassistischen Gründen mehr zu schätzen.
Diese Bipolarität in Peru ist erschreckend und gleichzeitig faszinierend.
Eine Sache, die ich bis heute noch abstoßend finde, ist die Tatsache, dass die meisten Werbeplakate überall in Lima hauptsächlich nur Weiße darstellen. Weiße Menschen in einem Land, dessen Volk überwiegend genauso dunkle Haut hat wie ich.
Das ist grausamer Surrealismus. Stellt euch vor, wie es wäre in Deutschland zu leben und überall auf der Straße, Werbeplakate zu sehen, die nur gut aussehende Schwarze darstellen, weil die schwarze Haut als hübscher und attraktiver als die unschmackhafte weiße Haut der Deutschen angesehen würde.
Komisch? Rassistisch? Ordinär? … Abartig?
Okay, so fühlt man sich als Peruaner. Zumindest wenn man die Augen öffnet.
Vor drei Jahren lernte ich eine Freiwillige kennen. Sie arbeitete bei einer Hilfsorganisation in Barrios Altos (einem Ghetto) und machte ständig Witze über mich: der petit bourgeois. Hierfür muss ich erklären, dass ich dank meiner Eltern in La Molina wohne und, zur Mittelschicht gehöre. Ich bin nicht stolz darauf, es ist einfach so.
Eines Tages lud sie mich anlässlich Weihnachten ein, ihr bei der Verteilung von Geschenke in Barrios Altos zu helfen. Ihr Gastvater hatte ihr gesagt, dass sie ihre Freunde einladen dürfte, die ihr Hilfe leisten wollten. Leider hatter er in diesem Moment nicht erklärt, dass er “deutsche” und nicht “peruanische” Freunde meinte.
Als ich dort ankam, fühlte ich diese Unbehaglichkeit in der Luft, weil der Gastvater Ablehnung ausstrahlte. Danach erklärte mir die Freiwillige, dass im vergangenen Jahr ein peruanischer Freund der vorigen Freiwillige etwas gestohlen hatte und der Gastvater deswegen keinen peruanischen Freund der Freiwilligen einladen wollte.
Mmm, aber wenn der Gastvater selbst Peruaner war, was versicherte ihm, dass er sich nicht selbst ausrauben würde?
Er war doch Peruaner, oder?
Nach sechs Jahren hier, nervt mich das immer noch. Immer noch.
Teilweise ist das auch der Grund dafür, dass so viele Pedro Pablo Kuczynski gewählt haben. Ein Onkel von mir äußerte einmal, dass PPK (abk. des oben genannten Banditen) aus einer anderen Kultur stammte, weswegen er ein rechtschaffener Mensch war. Im Ernst? Wirklich im Ernst?
Die Hautfarbe bestimmt weder die Schönheit noch die Seele eines Menschen. Meines Erachtens ist diese Wahrheit bisher in den Herzen meiner Landsleute noch unerkannt geblieben.
Und das ist im 21sten Jahrhundert wirklich schade.
Verfasst von Raúl A. «Radwulf» Valero Chávez
09.04.2018
Vielen Dank an A.Z. für die Korrektur.